WÖRTERBUCH DES JÜDISCHEN RECHTS
Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon"
(1927-1930)
erschienenen Beiträge von Marcus Cohn
ANSTIFTUNG
Das j. Recht geht bei der Beurteilung der A. von dem Gedanken aus, daß jeder Deliktfähige für sein Handeln allein verantwortlich gemacht werden muß. Der schuldhaft-rechtswidrige Wille des deliktfähigen Täters unterbricht den kausalen Zusammenhang zwischen der A. und der Tat. Wohl kann sich jemand einer strafrechtlich handlungsunfähigen Mittelsperson als Werkzeug bedienen und ein Delikt durch einen Minderjährigen, Unzurechnungsfähigen oder Taubstummen (Cheresch schote wekatan) ausüben lassen; alsdann haftet er selbst ausschließlich, jedoch nicht als Anstifter, sondern als unmittelbarer Täter. Hat jemand einen strafrechtlich Handlungsfähigen zur Begehung eines Delikts veranlaßt, so hat er sich zwar moralisch schuldig gemacht und geht auch vor göttlichem Gericht einer Bestrafung entgegen, ist vor menschlichem Gericht aber frei, und dem eig. Täter ist die volle Strafe aufzuerlegen. Das j. Recht wird hierbei von der Idee geleitet, daß der Täter als volljähriger und handlungsfähiger j. Bürger unter den Bestimmungen des j. Gesetzes steht und zu dessen Einhaltung verpflichtet ist. Der Täter hätte auf die Stimme des Gesetzes, nicht auf die des Anstifters hören sollen. Dieser Gedanke wird in den talmudischen Satz gefaßt: "Worte des Meisters und Worte des Schülers, wem hat man zu gehorchen?" (diwre haraw wediwre talmid diwre mi schom'im) b. Kidd. 42b).
Während im j. Privatrecht die direkte Vertretung im allgemeinen zugelassen ist, ja eine besondere Ausprägung erfahren hat, ist die Vertretung bei Delikten deshalb prinzipiell ausgeschlossen, weil für diese der Täter persönlich einzustehen hat. Im gesamten Gebiet des Strafrechts gilt daher der Grundsatz: "Es gibt keinen Vertreter bei Delikten" (en schali'ach lidwar awera b. Kidd. 42bff.). Hieraus folgt aber, daß die A. nach strengem j. Recht straflos ist (vgl. b. B. K. 59b). Freilich wird zur Zeit der Tanna'iten von Schammaj dem Älteren unter Berufung auf den Propheten Haggai noch die gegenteilige Meinung vertreten, daß der Anstifter durch die deliktische Handlung des von ihm angestifteten Täters sich schuldig mache. Er verweist zur Begründung auf den bibl. Bericht in 11. Sam. 11, 14ff., wo König David, der Uria, den Ehemann der Batseba, durch Vermittlung seines Feldherrn Joab hatte umbringen lassen, vom Propheten Na-tan vorgeworfen wird: "Ihn hast Du erschlagen durch das Schwert der Ammoniten", obwohl David nicht selbst die Tat ausgeführt hatte, sondern Joab es war, der Uria an der Schlachtfront besonderen Gefahren aussetzte. Auch nach der Ansicht von Schammaj wäre jedoch die A. nicht zu bestrafen, wenn der Täter durch die Ausübung des Delikts sich einen Genuß verschaffte, da es nicht einleuchten würde, "daß der Täter den Genuß hat und der Anstifter strafbar ist" (vgl. b. B. K. 56a, 71a).
Der zur Halacha gewordene Ausschluß der
Deliktvertretung hat jedoch
nur dann Geltung, wenn der Angestiftete selbst vorsätzlich
handelt,
deliktfähig und zurechnungsfähig ist und der betreffenden
strafrechtlichen
Norm, gegen die seine Handlung verstößt, unterliegt (b. B.
M.
l0b; B. K. 79a). Andernfalls würde doch der Anstifter zur Strafe
herangezogen
werden.
In drei Ausnahmefällen wird jedoch das Prinzip durchbrochen, und
es gilt wiederum der allgemeine Vertretungsgrundsatz, so daß der
Anstifter und nicht der Täter sich schuldig macht
(b. Kidd. 43a); es sind dies folgende Delikte:
1. Die Veruntreuung (me'ila, d. i. die bewußt rechtswidrige Profanierung heiliger Gegenstände (Me'ila 6, 1; b. Me'ila 20a f.);
2. die Unterschlagung (schelichut jad), d.i. die vorsätzliche rechtswidrige Aneignung von Depositen (in Verwahrung gegebenen Gegenständen) zum Zwecke wertvermindernder Benützung. Zum Wesen der Unterschlagung gehört nach der anerkannten Meinung der Schule Hillel die tatsächliche Ergreifung und Wertminderung des Objekts (B. M. 3, 12; b. B. M. 44a);
3. der qualifizierte Diebstahl (tewicha umechira), d. i. der vorsätzlich rechtswidrige Verkauf oder das Schlachten eines gestohlenen Tieres. Dieser bereits in Ex. 21, 37 normierte erhöhte Rechtsschutz für lebendes Gut bestraft den Verkauf oder das Schlachten von Tieren als qualifizierten Diebstahl (b. Ket. 33b).
Die Ausnahmestellung bei diesen drei Delikten
erklärt sich wohl
dadurch, daß sich bei ihnen außer der strafrechtlichen
Handlung
gleichzeitig ein privatrechtlicher Vorgang vollzieht, der bei der
Veruntreuung
in der Umwandlung von heiligem Gute in profanes, bei der Unterschlagung
in der Wertminderung und im Verbrauch, beim qualifizierten Diebstahl im
Übergang des Eigentums an den Dieb oder Käufer besteht. Da
nun
aber die privatrechtliche Seite dieser Delikte sich von der
strafrechtlichen
nicht trennen läßt, für die Handlung aber, die dem
Privatrecht
angehört, ohnehin das j. Vertretungsprinzip gelten würde,
mußte
in Abweichung von dem Grundsatze, daß eine Deliktsvertretung
ausgeschlossen
sei, bei diesen drei Verbrechen bestimmt werden, daß auch die
strafrechtlichen
Folgen ausnahmsweise den Auftraggeber, d. h. den Anstifter, treffen und
der Täter selbst straffrei bleibt, da auch die aus den Delikten
sich
ergebenden Vorteile mit rechtlicher Wirksamkeit für den
Auftraggeber
vorgenommen werden.
Als selbständiges Delikt gilt die A. zum Götzendienst. Der
Anstifter, d. h. Verleiter zu dieser Todsünde wird
gemäß
bibl. Norm (Deut.13, 7) mit dem Tode bestraft. In der Mischna
(Sanh.
7, 10) wird bes. hervorgehoben, wie ein Privatmann zu bestrafen ist,
wenn
er nicht eine ganze Stadt, sondern einzelne verleitet; die Bestrafung
solcher
Delinquenten wird in Deut. 13, 9 als besondere Pflicht normiert.