WÖRTERBUCH DES JÜDISCHEN RECHTS
Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon"
(1927-1930)
erschienenen Beiträge von Marcus Cohn
NACHBARRECHT
Die Rechte der Nachbarn basieren im allgemeinen auf dem Gedanken, daß jemand von seinem Eigentum nur Gebrauch machen darf, ohne daß ein anderer darunter leidet. In der Bibel selbst finden sich zwar noch keine nachbarrechtlichen Vorschriften, aber in der Mischna (B. B. 2, lff.) werden eingehende Bestimmungen erwähnt, welche genau festsetzen, inwieweit der Grundstückseigentümer auf die Rechte des Nachbars, z. B. bei der Einrichtung von Zisternen, Wasserkanälen, Backöfen, Speichern, Rinderställen, Weinmagazinen, Bäcker- und Färberläden usw. Rücksicht nehmen muß. Mit der Begründung, der Lärm des Hammers oder der Handmühle lasse einen nicht schlafen, kann man einem Nachbarn die Arbeit nicht untersagen, wohl aber die Führung eines Ladens im gemeinsamen Hofe im Hinblick auf das Ein- und Ausgehen.
Das spezielle nachbarliche Vorkaufsrecht des angrenzenden Eigentümers im Falle des Verkaufs, dina dewar mizra ("Recht des Sohnes der Grenze"), wird im Talmud (b. B. M. 108a) auf die biblische Norm Deut. 16, 18 zurückgeführt: "Du sollst das Rechte und Gute tun in den Augen des Ewigen." Bei einer Schenkung oder Vererbung einer Liegenschaft besteht dieses Recht jedoch nicht.